Wie kann es überhaupt einen Mangel an Sozialkompetenz geben?
Soziale Kompetenzen lassen sich nicht wie ein klassisches Schulfach lernen! Das noch so breite theoretische Wissen darüber bringt einem die hierfür notwendigen Fähigkeiten (Soft Skills) kaum näher. Soziale Kompetenzen erwerben wir am besten als Kinder und Jugendliche – und auch danach noch – eher spielerisch und fast von selbst dann, wenn wir
- genügend Zeit mit ihrerseits sozial kompetenten Vorbildern verbringen können und
- genügend Zeit und Muße für interaktive, sich selbst entwickelnde Spiele und Aktionen mit anderen unserer Alters- und/oder Interessengruppe haben.
Es ist dieses beobachtende Lernen (am Modell) und das erfahrungsorientierte Lernen (durch Versuch und Irrtum) in unserer natürlichen Umgebung, das zum Erfolg führt, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind.
Wenig Zeit und kaum noch ein Dorf
Mit einer klugen Frage (samt Antwort) beschreibt dies ein altes Sprichwort:
Frage: Wie viele Menschen braucht es, um ein Kind groß zu ziehen?
Antwort: Ein ganzes Dorf!
Und analog dazu könnte man fragen:
Frage: Was braucht es, damit Mitarbeiter dauerhaft gute Arbeit leisten, die Firma floriert und zugleich die einzelnen Mitarbeiter ihre Talente entfalten und einbringen können?
Antwort: Eine für „soft skills“ aufgeschlossene Firmenkultur, einen sozialkompetenten Chef und sozialkompetente Kollegen.
Der Haken an alldem ist nur: Solche „Dörfer“ und solche Firmen gibt es viel zu selten. Daher mangelt es oft an geeigneten Vorbildern für Heranwachsende bzw. neue Mitarbeiter.
Zunehmend leben Jugendliche mehr neben als mit ihren gestressten Eltern, und die neuen Medien absorbieren möglicherweise dann auch noch die letzten Reste eigentlich noch vorhandener gemeinsamer Möglichkeiten.
In der schulfreien Zeit laufen Kinder nur noch selten einfach aus dem Haus, um sich draußen überraschen zu lassen, sondern von Nachhilfe (auch für die guten Schüler!), zusätzlichen Sprachkursen, drei mal wöchentlichem Judo-Training, Klavierunterricht und Dates mit Freunden hin und her. Vieles davon eigentlich (!) schöne Sachen, nur eben alles ein wenig (?) viel. Und schon drei Wochen vor den Ferien sagen sie, ganz wie ihre gestressten Eltern: „Ich kann nicht mehr, ich brauche Urlaub.“ Den Kindern fehlt Muße und unverplante Zeit.
In der Schule sollen die angehenden Abiturienten neuerdings in 8 Jahren den gleichen Stoff erlernen wie jahrzehntelang zuvor in 9 Jahren. Die besseren Schulen machen sich Gedanken darüber, wie der allgemeinen Überforderung entgegengewirkt werden kann, wie z.B. über längere Schulstunden (bei weniger Fächern pro Tag) der Schulalltag entschleunigt und beruhigt werden kann.
Solche Bemühungen können sicherlich den Schulstress ein wenig abmildern und Schlimmeres verhindern helfen, ändern aber nichts Grundlegendes an einem wohl kaum noch zeitgemäßen Schulsystem, das seinerseits ja ohnehin wohl auch nur die generellen Probleme und Herausforderungen unserer Gesellschaft widerspiegelt. Selbst wenn sich einzelne Lehrer gerne Zeit nähmen, um sich um die Entwicklung emotionaler und sozialer Kompetenzen der Heranwachsenden zu kümmern, bleibt dafür kaum eine Gelegenheit. Höchstens einmal am Rande – vielleicht ein wenig auf einer Klassenfahrt, im Religionsunterricht oder während einer Projektwoche. Alles andere erscheint wichtiger.
Viel Klage — wenig Taten
Langer Rede kurzer Sinn, es ist kein Wunder, wenn die Hochschulen und vor allem die Arbeitgeber beklagen, dass es um die Sozialkompetenzen des Nachwuchses oftmals nicht gut bestellt ist. Es fehlte schlicht Zeit und Gelegenheit, sie zu entwickeln. Interessant ist dabei allerdings, dass umgekehrt die Jüngeren ihrerseits oft über selbstherrliche und/oder schikanierende Hochschullehrer und Führungskräfte schimpfen, bzw. – da am kürzeren Hebel sitzend – unter ihnen leiden. Schenkt man beiden Glauben, so wimmelt es in deutschen Landen also nur so von sozialer Inkompetenz auf allen Ebenen und in allen Altersgruppen. Sie ist sozusagen allgegenwärtig!
Der Mangel wird von allen Seiten gesehen und beklagt. Dabei wird die fehlende Kompetenz, wie in anderen Bereichen auch, von der Tendenz her immer eher beim anderen als bei sich selbst gesehen. Relativ wenig wird aber nach wie vor dafür getan, dass es besser werden kann.
Ein befreundeter Personalentwickler eines großen deutschen Unternehmens erzählte kürzlich, dass sie verschiedene qualifizierte Stellen nicht besetzen konnten, obwohl es hunderte Bewerber mit guten bis sehr guten Abschlussnoten gegeben hatte. Einzig und allein habe es an den sozialen Kompetenzen der vielen Bewerber gemangelt.
Also viel Klage – wenig lösungsorientierte Taten! Aber immerhin Hoffnungsschimmer.
Hoffnungsschimmer
In der Wirtschaft wird das Thema teilweise offen diskutiert, vermutlich auch deshalb, weil sich mangelnde Sozialkompetenz dort sofort auch monetär negativ bemerkbar macht. Hier wird vor allem an die Schulen appelliert, dem Thema mehr Beachtung zu schenken. Mit entsprechenden Schulungen und Seminaren versucht man aber auch selbst gegenzuwirken.
Auch die Hochschulen thematisieren und erforschen das Thema zunehmend. Es gibt entsprechende Schwerpunktthemen in verschiedenen Studiengängen und z.B. von der ZFH, der Zentralstelle für Fernstudien an Fachhochschulen, ein sog. Hochschulzertifikat „Sozialkompetentes Management“.
Für die Schulen gibt es viele gute Ideen, Vorschläge und Pilotprojekte, wie die Förderung sozialer Kompetenzen in den Schulalltag und in die einzelnen Fächer integriert werden könnte – verbindlich von allen Schulen umzusetzen ist davon bisher aber wohl kaum etwas. Die Grundschulen haben insgesamt größere zeitliche Spielräume und damit oftmals mehr Zeit und Gelegenheit zur Förderung sozialer Kompetenzen. Sie arbeiten in vielen Fällen bereits deutlich fortschrittlicher als viele der weiterführenden Schulen.
Am besten erforscht und seit längerem in der Praxis umgesetzt, erscheint das Thema in der Jugend- und Sozialarbeit, vor allem im Bereich der Gewaltprävention.
Dies alles sind Hinweise darauf, dass das Thema inzwischen im positiven Sinne ernst genommen wird, nicht bereits aber Hinweise darauf, dass sich schon etwas Grundlegendes gebessert hätte. Ein Erwachen also, aber noch keine Trendumkehr!
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